„Hertas Verhältnis zu ihrem Körper hatte zwei Aspekte. Er war für sie ein Objekt, und er war für sie ein Problem. Die Erfahrung, einfach nur in ihm zu leben, hatte sie nicht.“
So schreibt die Psychotherapeutin Susie Orbach in ihrem Buch „Bodies. Im Kampf mit dem Körper“ über eine ihrer Patientinnen. Ich denke, viele von uns können das besser nachfühlen, als uns lieb ist. Die Britin hat ihr Sachbuch von 2009 in diesem Jahr neu aufgelegt – weil die letzten zehn Jahre unser Körperbild noch einmal drastisch verändert haben. Allen voran die Sozialen Medien und, so Orbachs These, die Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz und der Reproduktionsmedizin.
Die Britin beleuchtet schonungslos und mit Genauigkeit unser gestörtes Körperbild. Dabei greift sie auf Beispiele aus ihrer therapeutischen Arbeit zurück, die anschaulich illustrieren, in welche seelische Not uns Konflikte mit dem eigenen Körper bringen können.
Wir prägen das Körperbild unserer Kinder
Ihre zentrale Argumentationsstränge dabei sind:
1. Körper wurden schon immer nach aktuellen kulturellen Vorgaben geformt.
2. Wir sind „vielleicht die letzte Generation [...], die noch in einem Körper lebt, wie wir ihn kennen.“ (S. 212)
Orbach dazu: „In den letzten vierzig Jahren aber haben [...] die neue Grammatik der visuellen Kultur, das Ideologem vom selbstkompetenten Konsumenten, die Macht der Diätprodukte-, Pharma- und Lebensmittelindustrie, der Schönheitschirurgie und der Modeindustrie sowie die Demokratisierung sozioökonomischen Strebens dazu geführt, dass wir den Körper, in dem wir leben, als etwas sehen, das wir perfektionieren können und wollen.“ (S.213)
Damit hat sie den Nagel auf den Kopf getroffen.
Für mich persönlich aber fast spannender und erhellender waren ihre Ausführungen darüber, wie wir bereits als Babys von unseren Eltern ein gutes oder eben auch schlechtes Gefühl für unseren Körper vermittelt bekommen. Und wie, im Umkehrschluss, ich meinen Kindern ein gesundes Körperbild mit auf den Weg geben kann. Oder auch nicht. Mittels der Mechanismen unserer Spiegelneuronen, aber auch durch Berührung. Sie beschreibt eindringlich, wie wichtig die menschliche Erfahrung des Körperkontakts ist und wie viel er bewegen kann.
Mein Körperbild
Das Buch hat mich in seinen Bann gezogen und mir viele Aha-Momente beschert. Denn auch ich habe, das ist mir klar, ein ungesundes Körperbild und eine schwierige Beziehung zu meinem eigenen Körper. Durch eine chronische Vorerkrankung, aber vermutlich mindestens genauso stark durch die kulturellen und medialen Ideale, die täglich auf uns einprasseln. Mit der Geburt meiner Kinder ist das leider nicht besser geworden. Mir gelingt es nur selten, meinen Körper zu akzeptieren, ihm zu danken, dafür, was er alles leistet und geleistet hat, und seine Veränderungen hinzunehmen.
Auf Twitter habe ich diese schwierige Beziehung zuletzt folgendermaßen beschrieben:
„Irgendwann werden mein Körper und ich vielleicht noch Freunde. Momentan sind wir eher Arbeitskollegen.“
Susie Orbachs Buch ist ein Baustein auf meinem Weg dahin, mit dem körperlichen Teil von mir Frieden zu schließen.
Da ich mir sicher bin, dass es sehr vielen Menschen ähnlich geht, auch wenn das Körperbild ein sehr individuelles ist, kann ich mich nur Margarete Stokowskis Appell aus ihrem Vorwort anschließen:
„Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass dieses Buch von allen Menschen gelesen werden sollte, die ab und zu mit Mädchen oder Frauen zu tun haben. Oder selbst welche sind. Also: von allen.“
Susie Orbach:
Bodies. Im Kampf mit dem Körper.
Arche 2021
ISBN 978-3-7160-2799-8
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